Warum ein Rückenkurs eigentlich kein Feldenkrais-Kurs sein kann

Auch, wenn es manchmal schwierig ist, vermeiden wir im Feldenkrais-Unterricht es so weit wie möglich über den Körper zu sprechen. Was? Die Anleitungen sagen mir doch dauernd, wie ich mich bewegen soll oder was da für Knochen und Muskeln am Arbeiten sind!

Was wir wollen, ist, das Wort „Körper“ nicht zu verwenden, weil es auf den Gegensatz zwischen Körper und Geist verweist, der unserer Kultur seit dem 18. Jahrhundert innewohnt – danke, nein, danke, Herr René Descartes!

Statt Geist und Körper lieber ein ganzes Selbst

In der Feldenkrais-Methode gehen wir davon aus, dass Körper und Geist, Gefühle, Gedanken und Sinneswahrnehmungen sich direkt und wechselseitig beeinflussen. Sie können daher nur theoretisch voneinander getrennt betrachtet werden. Und es ist die Frage, wie eine getrennte Betrachtung uns weiterbringt. Naheliegender ist die Vorstellung als ein System. Wir Feldenkrais-Praktizierende sprechen auch von unserem ganzen Selbst.

In einem System kann es von einem Punkt mehrere Verbindungen zu anderen Punkten geben, die wiederum untereinander verbunden sein können. Wir als System sind hochkomplex. Wir entwickeln uns weiter, sammeln Erfahrungen und werden von unserem Umfeld geprägt. Neue Verbindungen ergeben sich je nachdem. Neue Entwicklungsschritte schaffen neue Ebenen im System, die die älteren überlagern, aber nicht auflösen.

Vom Passgang zum Kreuzgang und zurück

Ein Beispiel ist, wie wir Gehen lernen. Ein kleines Kind lernt, sich hochzuziehen, zu stehen uns erste Gewichtsverlagerungen zu machen. Wenn es anfängt, erste Schritte zu gehen, ist das eine reine Gewichtsverlagerung auf ein Bein, die andere Seite ist dann frei, sich nach vorne oder hinten zu bewegen und dann das Gewicht zu übernehmen, damit sich die andere Seite bewegen kann.

So bewegen wir uns im Passgang vorwärts (oder rückwärts), die komplette rechte Seite bewegt sich nach vorne, dann die komplette linke Seite. Arm, Bein, Schulter und Becken bewegen sich als eine Einheit.

Wenn wir das Gehen weiter üben, entwickeln wir den Kreuzgang. Nun bewegt sich das rechte Bein und die rechte Beckenseite mit dem linken Arm und der linken Schulter nach vorne und umgekehrt. Was ist der Vorteil? Wir können unsere Balance besser halten, bleiben mehr in unserer Mitte und sind deswegen stabiler und schneller. Ein gesunder Erwachsener wird im Alltag nicht unwillkürlich im Passgang laufen, es würde ihn behindern.

Der Kreuzgang hat den Passgang abgelöst. Was passiert aber, wenn wir als System, als Ganzes, in unserer Funktion gefordert oder beschädigt werden? Wenn ich eins meiner Knie nicht mehr beugen kann, kann es sein, dass ich in einen halben Passgang verfalle. Wenn ich zuviel Alkohol getrunken habe und mein Balance-System nicht mehr gut arbeiten kann, schwanke ich beim Gehen von einer Seite zur anderen – ich falle zurück auf das weniger aufwändige (und auch weniger wendige) Muster.

Jähzornausbrüche und ähnliche emotionale Situationen

Emotional können wir Ähnliches beobachten. Im Laufe meines Heranwachsens habe ich gelernt, keine Jähzornausbrüche mehr zu haben. Denk an ein 2-3jähriges Kind, das sich auf den Boden wirft und schreit, weil es nicht das bekommt, was es will. Normalerweise wird das kein Erwachsener tun. Wir können allerdings einer sehr starken Belastung ausgesetzt werden, wie zum Beispiel dem Begreifenmüssen, dass ein geliebter Mensch gestorben ist oder eine psychische Erkrankung, die unsere Wahrnehmung furchterregend verändert. So etwas kann auch geschehen, wenn wir schädliche Stoffe zu uns nehmen. Möglicherweise können wir dann nur mit unseren Emotionen umgehen, indem wir uns zu Boden werfen und anfangen zu schreien.

Im zweiten Beispiel wird auch die Verbindung zwischen Emotionen und Bewegungen deutlich. Manchmal ist sie natürlich viel feiner. Wenn wir erschrecken, stockt uns der Atem. Wenn wir gestresst sind, atmen wir schneller. Es geht aber auch umgekehrt: wenn wir bewusst langsamer atmen, entspannen wir uns. Wenn wir spazieren gehen oder Sport treiben, hebt sich unsere Stimmung.

Wenn wir einen Teil unseres Systems verbessern, verbessern wir unser ganzes Selbst

Wir sind ein vielschichtiges, komplexes System, in dem Gefühle, Gedanken, Sinneswahrnehmungen und Bewegungen Einfluss aufeinander und auf unseren Gesamtzustand nehmen.
Moshe Feldenkrais fand Bewegung den einfachsten Zugang, um unser System zu verändern.

Er schrieb: „Bewegung ist Leben. Leben ist ein Prozess. Verbessere die Qualität des Prozesses und du verbesserst das Leben selbst.“
Deswegen nutzen wir die Lektionen, um Schritt für Schritt, bewusste Bewegung für bewusste Bewegung unsere Prozesse zu verbessern. Wir beginnen mit Bewegung, verbessern aber unser ganzes Selbst.

Wenn ich aufrecht durchs Leben gehe, habe ich einen anderen Blick auf die Welt. Wenn ich einen guten Gleichgewichtssinn habe, habe ich keine Angst zu stürzen. Wenn ich mir meiner Selbst bewusst bin und mich in mir wohlfühle, kann ich meinem Gegenüber freier und unvoreingenommener begegnen, weil ich weniger oder nichts von ihm brauche.

Wenn Du Dich selbst besser kennenlernen und Schritt für Schritt mehr Freiheit und Autonomie erwerben willst, probiere Feldenkrais doch mal aus, in der Gruppe oder in Einzelstunden.

Ich freue mich darauf, Dich auf Deiner Entdeckungsreise zu begleiten.
Evelyn Richter, info@feldenkrais-richter.de / 0176-22729080

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