Lernen und FELDENKRAIS®

Was hat ein verschneiter Park mit dem Gehirn gemein? Der Hirnforscher Manfred Spitzer vergleicht ein noch ungenutztes Areal im Gehirn mit der verschneiten Fläche in einem Park. Der Erste macht eine Fußspur durch den Park. Der Nächste hat schon die Tendenz, dieser Fußspur zu folgen, muss aber in eine andere Richtung und biegt dann ab. Nun gibt es eine Strecke mit zwei Fußspuren und zwei mit jeweils einer.
Wo wird der dritte Fußgänger vermutlich entlang gehen? Wenn möglich wird er wohl eine der vorhandenen Spuren nutzen.

Spuren im Gehirn

Genauso ist es im Gehirn. Wenn wir eine Funktion oder Handlung (zum Beispiel mit unserem Körper) zum allerersten Mal ausführen, ist diese normalerweise ungelenk. Die Nervenbahnen sind noch nicht gegeben, daher wissen die Impulse nur annähernd durch welche Bahnen sie laufen, welche Verknüpfungen gebraucht werden. Wird die neue Funktion bedeutsam und wiederholt, bilden sich neue Verknüpfungen für die Impulse dieser Funktion – wir haben gelernt!

Nun ist diese Verknüpfung aber eine der festen Bahnen, die das Gehirn gerne nutzt, weil sie etabliert und schnell sind – wie die ausgetretenen Pfade im verschneiten Park. Eine Funktion, die etwas abseits davon liegt, wird vermieden, selbst schmälere Pfade, die ähnlich verlaufen, werden kaum noch genutzt und schneien schließlich wieder zu. Lernen ist also ein Prozess, bei dem ständig neue Pfade beschritten werden wollen.

Was hat das mit FELDENKRAIS® zu tun?

Moshé Feldenkrais war es sehr wichtig, dass es sich bei seiner Methode um eine Lernmethode handelt und nicht um eine Form der Therapie. Abgesehen davon, dass es die Sicht des Feldenkraislehrers auf seine Schüler beeinflusst, zeigt die aktuelle Hirn- und Lernforschung, dass Moshé Feldenkrais vieles verstanden hat, was erst heute wissenschaftlich bewiesen werden kann.

Wenn wir in der FELDENKRAIS®-Stunde anfangs im Stehen den Arm heben, ist das meistens eine gewohnte Bewegung. Auf dem Rücken liegend den Arm dann über den Kopf auf den Boden zu legen, scheint die gleiche Bewegung zu sein – tatsächlich bekommen das Nervensystem und das Gehirn andere Informationen. Da der Arm aufliegt, müssen die Muskeln nicht gegen die Schwerkraft arbeiten, nach und nach wird die Bewegung vergrößert, indem wir unsere Aufmerksamkeit zum Kopf, zum Nacken, zu den Rippen etc. lenken. Diese Verbindungen sind teilweise wieder verschneite Pfade, teilweise waren sie aber auch noch nie betreten – wenn wir solche neuen Zusammenhänge entdecken, ist das sehr aufregend, fühlt sich gut an, macht Freude und ist dadurch bedeutsam für uns, unser Gehirn kann es sich leicht merken. Spielen wir jetzt mit unseren Bewegungen: mit Kopf, ohne Kopf, zusätzlich das Bein lang machen, die Arme abwechselnd verlängern, erhält das Nervensystem immer weitere Impulse, die die Bewegung, den Pfad, vollständiger werden lassen.

Also: wenn wir manchmal bei den FELDENKRAIS®-Lektionen nicht mehr wissen, wo oben und unten ist, wo rechts, wo links, wo das Bein liegt etc., dann ist das gewollt und ein Erfolg der Stunde, das Nervensystem hört auf, den festgetretenen Pfaden zu folgen und entwickelt neue Wege – herzlichen Glückwunsch!

Mit diesem Prinzip können wir ständig im Alltag spielen und so unsere Möglichkeiten erweitern. Mit der anderen Hand schreiben, das Buch auf dem Kopf lesen, andere Wege zu vertrauten Zielen nutzen, falsch herum auf dem Stuhl sitzen, die Beine andersherum überschlagen, die Kaffeetasse mit der anderen Hand zum Mund bringen, … Die Gelegenheiten, unsere Gewohnheiten ein wenig herauszufordern sind unzählig. Besonders gut geeignet ist die Zeit mit Kindern, da sie oft die Gewohnheiten noch nicht haben und wir so gemeinsam spielen können.

Mehr über und von Manfred Spitzer ist auf seiner Webseite beim Uniklinikum Ulm und bei Youtube zu finden.


Tags

Feldenkrais, Forschung, Gehirn, Lernen


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